Vortrag von Erwin Heinle am 6. April 1992
in der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
Preisend mit vielen schönen Reden wurde mir hier vor fünf Jahren viel Ehre erwiesen. Auf die Festansprachen des jetzigen Kultursenators Dr. Erhardt, die von Professor Wolfgang Henning und vor allem die denkwürdige und spannende Laudatio von Professor Heinz Mohl sowie für die Festschrift der Professoren Wollner und Steiner konnte ich damals nur ein herzliches Dankeschön sagen.
Deshalb fühlte ich mich verpflichtet und auch gedrängt, diesmal einen persönlichen Beitrag zu bringen, nämlich „Meine Abenteuer als Architekt“. Sie spüren, das Wort Abenteuer ist nicht unabsichtlich eingeschränkt – und gemeint sind nicht ungefährliche Wagnisse. Aus dem sicheren Hort der Vergangenheit möchte ich über Irrungen und Wirrungen, Vertrauliches, Vergessenes und natürlich über sehr viel Verdrängtes erstmals berichten.
Alltäglich war schon das Architekturstudium für mich „Kriegsveteranen“ nicht. In einer Zeit der Lebensmittelmarken, der 1.000 Kalorien pro Tag, auf einem halben Quadratmeter je Student, ohne Bücher, kaum Papier und US-Hoover-gespeist, mit ständiger Arbeitszeitüberschreitung – so wurde in drei Jahren die Schnellbleiche vollzogen. Die Nebentätigkeiten mit „Job-Hopping“, als Hilfsbremser und als „Hausmann“ sorgten für fachübergreifende Abwechslung.
1950 – 1954
Danach sollte ich als Assistent an der Technischen Hochschule mehrere Semester lang je etwa 100 Studierenden Baupläne korrigieren, und dies ohne jede Bauerfahrung. Das empfinde ich heute als höchst abenteuerlich. Gefährlich und schadensgeneigter wurde es dann im Büro von Professor Wilhelm, als amerikanische Konzepte für deutsche Handwerker und nach deutschen Normen gezeichnet werden sollten.
1954 – 1956
Die echten Abenteuer begannen bei meiner künstlerischen, technischen und geschäftlichen Oberleitung für den Fernsehturm Stuttgart (Idee und Konstruktion: Professor Leonhardt). Die Direktoren des Süddeutschen Rundfunks ließ ich wissen, dass ich aussteigen würde, wenn der Turm rot-weiß-rot gestreift gebaut werden müsse. Das war nämlich internationale Vorschrift für alle Flughindernisse. Vermutlich deshalb habe ich für meine Besprechung im Innenministerium den Berichterstatter Ulrich Reichert beigestellt bekommen. Dieser hat dann das vorschriftsmäßige Turmgebilde als „Sambasocke“ so skurril dargestellt und nach dem Warum so bohrend gefragt, dass der Ministerialrat betroffen meinte: „Löschen Sie Ihr Band, ich lasse das Gutachten zur andersartigen Flugsicherung zu.“ Das Ergebnis war dann die Xenonleuchte, eine Verbindung von drehbarem Flakscheinwerfer und Zeiss-Optik. 36 Jahre funktioniert nun diese Flugsicherung sicherer und billiger und über Stuttgarts Wald- und Rebenhängen steht keine Sambasocke.
Der Verwaltungsrat des Süddeutschen Rundfunks und vor allem sein Vorsitzender misstraute der Kostenschätzung und der Einhaltung der Kosten. Wir mussten sechs Einsparungsalternativen rechnen – Rohbau und Aufzug, die Korbverkleidung und dann den stufenweisen Ausbau. Kurz vor der entscheidenden Verwaltungsratssitzung erschienen in den Stuttgarter Zeitungen Schlagzeilen wie: „Schwabenstreich – Fernsehturm bleibt roh als Bau“. Darauf wurde der volle Ausbau vom Verwaltungsrat beschlossen, aber fieberhaft nach den undichten Stellen beim Funk gesucht.
Nach einem handgreiflichen Streit zwischen Monteuren und Ingenieuren der Aufzugsfirma Haushahn erfuhr ich, dass die Führungsschienen für die Aufzüge schon seit Tagen nur als Schlangenlinien justiert werden konnten. Zum Glück schien gerade die Sonne, als Vermessungsingenieure die Turmbewegungen vermaßen. Aus diesen Messdaten konnte geschlossen werden, dass die Sonnenstrahlen auf dieser Seite den Schacht erwärmten, dieser sich dehnte und auf die Schattenseite drückte. Die Bewegung hatte Nierenform und oben eine Ausdehnung von etwa 17 cm. Nach dieser bewegenden Erkenntnis konnte man bei Nacht justieren und bei Tag festschrauben. Ingenieure und Monteure vertrugen sich wieder.
Dimensionierungs- und Dichtungsprobleme bei der Alufassade, der ersten dieser Art in Europa, gab es, weil beachtet werden musste, dass Druck + Sog = doppelter Druck und bei zerstörter Druckscheibe die dreifache Belastung zu berechnen und zu konstruieren war. Erkenntnisse aus dem Staudruck-Prozess des U.N. -Gebäudes in New York waren zu verarbeiten (1955 – 1958). Ein Fassaden-Reinigungsgerät, die Klimaanlagen, der Blitzschutz und viele andere Probleme waren während der Bauzeit zu erfinden. Da die Aufzugsgegengewichte keine Fangvorrichtung hatten, waren für sie ein Zertrümmerer und ein zerstörbares Gegengewicht zu erfinden zum Schutz der Spannglieder im Fundament.
Um den Turm aus wirtschaftlichen Gründen ein halbes Jahr früher fertigsteilen zu können, musste ein Außenaufzug Ausbaumaterialien von außen in den Korb bringen. Das war eine bessere Margarine-Kiste. Damit fuhren auch oft Personen hoch. Als der Aufzug abgebaut wurde, wurde eine halb durchgeschliffene Rollenachse festgestellt.
Zwei Tage vor der Eröffnung und ein Tag vor der Pressekonferenz brachte mir unser Bauleiter Karle mit bleichem Gesicht einen meterlangen Gusseisenspeer mit dem Bemerken „Der Turm bricht zusammen.“ Das waren Teile der explodierten Abwasserleitungen, die eingefroren waren, weil wir minus 33°C am Turmkopf hatten. Ich musste den Turm sperren, die Leitungen von oben her abbauen und umleiten lassen in das andere Abfallrohr. Die Pressekonferenz fand bei schlechtester Stimmung auf dem Boden statt. Hochstimmung herrschte dann einen Tag später bei der Einweihung hoch im Turmkorb.
1959 – 1961
Bei der Planung und beim Bau des Kollegiengebäudes hatten wir nur Schwierigkeiten mit der Sichtbetonherstellung. Für die Planung und Ausführung des Landtagsgebäudes holte mich der Leiter der Staatlichen Bauverwaltung, Professor Linde.
Nachdem die ersten Fassadenelemente am Landtagsgebäude montiert waren, fragte Innenminister Ulrich in der Ältestenratssitzung spitz: „Wisst Ihr, wie unser Landtagsgebäude im Remstal heißt?“ Erwartungsvolle Stille folgte. Er antwortete selbst, süffisant, ironisch: „Es ist das neue braune Haus.“ Kurzes Lachen gefror schnell in den Gesichtern der Abgeordneten. Der Landtagsdirektor bereitete mich auf die Vorladung mit der knappen Bemerkung vor: „Gell, der Antisemit ist schlimmer als der Nazi.“ Nach nächtelangem Grübeln trug ich dann vor: „In New York war gerade auch eine Bronzefassade montiert worden für die jüdische Whiskyfirma Seagram. Der Architekt war Mies van der Rohe, der im dritten Reich Deutschland verlassen musste. Die Farbe der Bronze ist dort die Symbolfarbe für den guten Seagram-Whisky.“ Schnell wurde dann das braune Haus vergessen.
Der Ältestenrat des Landtags hatte dem Vorschlag der Kunstkommission zugestimmt. Deshalb konnte die Plastik „Pferd und Reiter“ von Marino Marini bestellt werden. Doch Landtagspräsident Dr. Gurk wollte sie wieder zurückgeben. Dass dies nicht mehr ging, ärgerte ihn so sehr, dass er bei der Einweihung eine Präsidentenrunde damit beschäftigte. Auch in diesem Kreis gab es viele kritische Blicke, vor allem, nachdem bewusst gemacht wurde, dass „Pferd und Reiter“ den Kampf zwischen Legislative und Exekutive symbolisiere. Als dann am Schluss Altbundespräsident Heuss gefragt wurde, meinte er, seine Kollegen musternd: „Mir send ja au nemme die Jengschte!“ Einige Journalisten hatten damit ihren Aufhänger und der Marini blieb im Foyer des Landtags.
Viele Jahre bewegte die Presse „Die Liegende“ von Henry Moore, dem damals bekanntesten Bildhauer der Welt. In den umzäunten Kunstbereich wurde sie aber erst versetzt, nachdem die Stuttgarter Zeitung eine Karikatur brachte mit zwei Frauen vor der Liegenden. Die eine sagte zur anderen: „Gell, so wellet uns dia Männer.“ Damit war die Tradition gewahrt, denn als die Bürger die nackten Marmorstatuen im königlichen Garten kritisierten, drohte angeblich König Wilhelm I. vor etwa 150 Jahren, er werde die Marmordamen einschließen und sich alleine mit ihnen verlustieren.
In die Niederungen der Architektenwirklichkeit führten mich dann die nächsten Ereignisse.
1961 – 1963
Die erste Betriebsstufe für das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg sollte nach der Beauftragung durch Professor Dr. K.-H. Bauer schnell gebaut werden. In nur acht Monaten wurden diese Institutsbauten auf dem Neuenheimer Feld fertig und festlich in Anwesenheit hoher politischer Prominenz eingeweiht. Danach aber forderte der Generalunternehmer Krupp-Feal 700.000 DM mehr als im Festpreis vereinbart war, weil der Institutsdirektor des Nuklearmedizinischen Institutes beim Subunternehmer BBC Ergänzungen zum Forschungsreaktor bestellt hatte. Diesen Betrag wollte der Rechnungshof vom Architekten, also von mir.
Zum Glück wurde der für mich existentiell gefährliche Streit durch einen Vergleich zwischen dem Finanzminister von Baden-Württemberg, dem Generalbevollmächtigten Beitz von Krupp, dem Präsidenten des Rechnungshofes und Professor Bauer beigelegt und ein Vergleichsanteil von der Stiftung Deutsches Krebsforschungszentrum bezahlt.
Gleich zehnmal höher war die nächste Forderung an mich.
1961 – 1964
Die Pädagogische Hochschule und Staatliche Sportschule Ludwigsburg wurde mit vielen Neuerungen termingerecht und kostentreu und mit eingespartem Volumen übergeben und festlich von Finanzminister Dr. Müller (FDP) eingeweiht. Vom Ministerpräsidenten Kiesinger und der Stuttgarter Zeitung wurde aber ein Kostenskandal verbreitet. Ich hätte unter anderem die Nordtrakt-Erweiterung verhindern sollen, weil ich über Raumprogramme von Pädagogischen Hochschulen Veröffentlichungen schrieb.
In Landtagskommissionen wurde ich verhört zusammen mit den zuständigen Ministerialräten. Schließlich haben dann der Rektor und der Senat der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg eine große Pressekonferenz einberufen. Bei dieser stellte sich heraus, dass der beleidigte Direktor der Sporthochschule und sein Gartennachbar, ein Redakteur der Stuttgarter Zeitung, die ganze Kostenkampagne betrieben hatten. Die Konferenz wurde geschlossen und im Blätterwald folgte Schweigen.
Im Sinne üblicher Öffentlichkeitspraxis: „Der nächste Skandal kommt sicher“ wurde ich dann einige Jahre später wegen klemmender Wände wieder vorgeführt. Den Vergleich erledigte dann mit 10% der Forderung die Versicherung.
Seit 1962
Seit 1962 betreiben Herr Wischer und ich ein gemeinsames Büro. In London fragten mich die leitenden Herren eines Nylonspinners, ob wir eine Fabrik von damals rund 100 Millionen Baukosten statt in drei in eineinhalb Jahren auf der grünen Wiese bauen könnten. Trotz des Hinweises auf eine kräftige Kostensteigerung durch den Zeitdruck erhielten wir den Auftrag, in eineinhalb Jahren zu bauen und wurden darauf hingewiesen, dass für jeden Monat Verzögerung eine Million Honorar einbehalten werde.
Wegen der Erfahrungen mit der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und dem Deutschen Krebsforschungszentrum trauten wir uns dies zu, zum Entsetzen anderer Architekten, wie Heinz Mohl ja vor fünf Jahren hier berichtete. In Erinnerung habe ich diese Zeit, während der alle Planungsbeteiligten in einer Baubarracke auf dem Baugelände zusammengefasst waren – auch die Vertreter des Bauherrn waren dort – als eine Zeit der Leibeigenschaft. Nur in Russland habe ich so wenig geschlafen. Trotzdem war diese Pionierstimmung ohne Arbeitszeitbeschränkung, die gegenseitige Hilfe in schwierigen Zeiten, die schnellen Bauherrenentscheidungen und das Ziehen an einem Strang ein echtes Abenteuer und damit Erlebnis, das nach der Einweihung euphorisches Selbstbewusstsein, fast Überheblichkeit auslöste.
Wir durften danach in Offenbach ein zweites Werk bauen und Östringen während der nachfolgenden 25 Jahre immer wieder erweitern, erhielten den Preis für Industriebauten in der Landschaft und wurden in den Festschriften von ICI lobend erwähnt.
1967 – 1972
Der bundesoffene Wettbewerb für die Olympiabauten in München wurde am Freitag, den 13. Oktober 1967 entschieden. Behnisch und Partner und Joedicke erhielten den 1. Preis und wir den dritten. Nach dem langen Gerangel um das Stadiondach erteilte die Olympiabaugesellschaft in einer Aufsichtsratssitzung am 1. März 1968 Behnisch den Auftrag für das Gesamtkonzept und den Südbereich und uns den Auftrag für den Nordbereich mit Olympischem Dorf und Zentraler Hochschulsportanlage.
Diese Entscheidung erregte die Architektenverbände und ihre Präsidenten über alle Maßen. Am Telefon wurde ich mehrfach aufgefordert, den Auftrag sofort zurückzugeben. Falls ich dies tue, bekäme ich in München den größten Fackelzug aller Zeiten, sonst solle ich in München ein Kettenhemd anziehen.
Ich gab den Auftrag nicht zurück, denn aus dem fast nur als Drahtgitter dargestellten Nordbereich unter extremem Zeitdruck eine kleine Wohnstadt und eine riesige Sporthochschule zu entwerfen, das war eine einmalige Herausforderung. Im Jargon mancher Printmedien wurde nun zusammengehockt, gedealt, gekungelt und Sensationsartikel über die Rotationswalzen als sogenannte „Weichspüler“ gejagt. Das war aber nur Vorfeldakrobatik, das skandalträchtige Thema kam erst.
Der Vorsitzende der Olympiabaugesellschaft, der damalige Bundesfinanzminister F. J. Strauß, rief mich im Kurzurlaub im Rießerseehotel an und teilte mir folgendes mit: Am nächsten Tag solle der Skandal Heinle in den Münchner Tagesblättern breitgewalzt werden. Eine Frau habe mich nämlich im Fernsehen als ihren ehemaligen Verlobten wiedererkannt. Sie sei bisher davon ausgegangen, dass die Vermisstenmeldung richtig gewesen sei. Nun wisse sie aber, dass es mich als ehemaligen Mitarbeiter von Speer und Vater ihres Kindes noch gäbe. Sie werde über Einzelheiten berichten.
Meine Frau stand daneben und schaute mich wortlos mit ganz großen, fragenden Augen an. Da es auch mir die Sprache verschlug, antwortete ich nach einer längeren Pause, dass ich ja schon vom Lebensalter her nicht Mitarbeiter von Speer gewesen sein könne und überdies erst ein Jahr nach dem Krieg mit dem Architekturstudium begonnen hätte. Wie er nun diesen gutplatzierten Skandal oder diese grimmige Lektion verhinderte, weiß ich nicht.
Mit kleinerem Kaliber ging dann diese schleichende Gewalt der Verleumdung weiter, denn wo Rauch ist, da muss ja auch Feuer sein. Und Anlass gab es ja auch genug, denn das sogenannte „Optimierungsverfahren“ oder heute „abgestufte Alternativenbildung“ passte so gar nicht in das Bild des Geniestreiches. Wir mussten unter der Begleitung dieses Trommelfeuers innerhalb von 15 Wochen eine kleine Wohnstadt für 10.000 Bewohner, später 15.000, mit all ihren sogenannten „Infrastrukturbauten“ entwerfen.
Dieser Vorgang wurde im Ausstellungspavillon des Olympia-Bauzentrums offen gelegt. 85% der Gäste stimmten den hängenden Gärten mit den Drive-in-Terrassenhäusern spontan zu. Aber der Skandal ging weiter. Denn: „Semper aliquid heret“, das gilt auch heute noch – und vieles blieb ja auch hängen. Es begleiteten uns Verbandsdrohungen, Kollegenschelte und Pressekampagnen dann noch Jahre nach der Olympiade. Drei Leitzordner füllen diese Aufhänger.
Obwohl von 6.000 Dorfbewohnern im November 1974 95% sagten, sie fühlen sich wohl oder sauwohl und fast 70% das Dorf schätzten wegen seiner Ruhe und sofort wieder einziehen würden, gingen die Angriffe mit fesselloser Heftigkeit weiter.
Trotz dieser jahrelangen Attacken durch veröffentlichte Redaktionsmeinungen laden mich die Bewohner alle fünf Jahre zum Vortrag ein, so wie auch in diesem Jahr. Das Olympische Dorf wurde im Jahr 1979 im Museum of Modern Art unter dem Thema „Transformations in Modern Architecture“ ausgestellt. Aber getreu dem Prinzip: „Der nächste Skandal kommt bestimmt“ holte uns die Vergangenheit fünf Jahre nach der Olympiade wieder ein. Die bayrische Hatz ging weiter, oder: „Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe.“ (W. Busch)
Die Zentrale Hochschulsportanlage, auch ein Teil des Nordbereiches, gab den Anlass zur hurtigen Vereinfachung. Die Stadt München und das Universitätsbauamt hatten ihre Vorwürfe von der Materialprüfungsanstalt der Universität München und der Bundesanstalt in München stützen lassen. Der Vorwurf: Die Gebäude der Gesamtanlage sind vom Einsturz bedroht, und dies, weil wir unter Zeitnot den Cortenstahl für die Konstruktion durchgesetzt hätten. Die Forderung betrug mehr als 11,3 Millionen DM. Abgeleitet wurde dieser Vorwurf von den stark angerosteten kleinen Wasserrinnen unter den Fenstern, die eigentlich nach dem Anrüstungsvorgang, also vor Jahren, hätten abgenommen werden sollen.
Nach 6 1/2 Prozessjahren mit Parteigutachten der verschiedensten Art wurde vom Gericht als Obergutachter Professor Kroeker aus München beauftragt. Dieser stellte am Schluss seines ausführlichen Gutachtens lakonisch fest, dass der Kläger seine Erwartungen darauf stütze, dass der Architekt 1968 hätte wissen müssen, was die DIN-Norm im Jahr 1979 fordert. Die Klage wurde abgelehnt. Alle Kosten hatten die Kläger, die Stadt München und das Land Bayern, zu tragen. Und stellen Sie sich vor, nun steht die Hochschule bald 25 Jahre und kein Konstruktionsteil ist zerstört. Auch Instituten fallen Prognosen schwer, denn die sichere Zukunftsvorausschau ist auch ihr Problem.
1969 – 1977
In einem bundesweit offenen Wettbewerb mit internationaler Beteiligung für das Stadthaus in Bonn erhielten wir den 1. Preis. Alle Fraktionen waren für den Bauauftrag. Nachdem der Rohbau fast fertig war und ein Starfoto zunächst in Bonn und dann bundesweit die Runde machte, erregten wir wieder öffentliche Aufmerksamkeit. Der Fotograf hatte eine extreme Schussposition erklettert, durch die er die Höhendifferenz zwischen Umgebung und Stadthaus übertrieben darstellen konnte – auf der Suche nach der Wahrheit.
Bald wurde vom Oberbürgermeister eine Pressekonferenz einberufen. Dabei demonstrierten Ärzte und FDP-Abgeordnete an einem Modell, dass der Verkehrslärm an der Stadthausfassade so reflektiert, dass er wieder nach unten in die Wohnungen eindringe. Außerdem würde sich im Hof ein Dauersturm entwickeln, der durch die Thermik an der Fassade hervorgerufen würde. Unsere beratenden Ingenieure bemerkten voller Ironie: „Das ist die Physik der Grundschüler.“ Der Oberbürgermeister löste die Sitzung ganz schnell wieder auf.
Da der Fernsehturm Mannheim zur Eröffnung der Gartenschau als Aussichtsattraktion fertig sein sollte, verlangten die Bauträger einen ausführungsreifen Vorentwurf innerhalb von zwei Monaten. Bundespost, Pächter und Bauträger hatten ihre Forderung festgezurrt und der Oberbürgermeister wollte eine völlig neue Turmkorbform. Da alle im Planungsteam schon Turmbauerfahrung hatten, konnten wir mit der Methode des „morphologischen Kastens“ den Formfindungsprozess komprimieren. Methode und Ergebnis wurden in den Ausschüssen und im Plenum der Stadt Mannheim vorgetragen und sofort akzeptiert. Nach der Feststellung der Stadtverordneten: „Ein Hauch von Gemini“ fragten sie mich abschließend, ob mit dieser Methode nicht auch politische Probleme geordnet werden könnten. Und der Bundespostminister wollte in seinem Jahrbuch 1974 den Vorgang publiziert haben.
Abenteuerlich war hier der Zeitdruck, weil der Eröffnungstermin festlag, ein unverwechselbarer Mannheimer Turmkorb gefunden werden sollte und die Fundierung neben dem Neckar problematisch war.
1976 – 1979
Diese Kommunalerfahrung konnten wir gut nutzen beim Fernsehturm in Nürnberg. Wir legten nur zwei Turmkorbformalternativen, nämlich das Ei und den Trichter, vor. Die Entscheidung fiel schnell, weil dem Ei – das war die Form einer Uhr des Nürnbergers Renlein – ein positiver Symbolwert beigemessen wurde, während die Form des Nürnberger Trichters das Gegenteil befürchten ließ. Das Risiko eines so kurz gefassten Vortrages war groß, weil man dies leicht als sarkastische Ironie auslegen konnte. Die Unverwechselbarkeit wurde auch später noch anerkannt, der Standort aber war, wie wir schon angekündigt hatten, falsch. Auch der Kölner Turm wurde schnell von den Kölnern als „Colonius“ akzeptiert.
Wieder einmal holte mich die Vergangenheit ein. In der DDR-Presse und in bundesrepublikanischen Illustrierten hatte man entdeckt, dass die Reflektion auf dem Turmkorb von damals Ost-Berlin ein Balkenkreuz als Reflexionsmuster, ähnlich dem der Deutschen Wehrmacht, zu sehen ist. Intern wurde den Verantwortlichen in Ost-Berlin vorgeworfen, dass dies nur davon komme, dass man einen Westdeutschen, der früher Panzermann war, als Berater zugezogen habe.
Seit 1972
Seit 1972 helfen mir Herr Wischer und meine Partner bei den vielen neuen Bauaufgaben.
1973 – 1977
Die jetzige Universität der Bundeswehr in München – ein Halb-Milliarden-Projekt – sollte im alten Baubestand an einem Flugplatz, verbunden mit einer bestehenden Fachhochschule, geplant und mit festem Endtermin gebaut werden. Von der Programmierung bis zum Einzug hatten wir die volle Verantwortung und mussten die Berater selbst zuziehen. Allein die knapp dreijährige Bauzeit auf kabeldurchzogenem Gelände neben dauergenutzten Gebäuden und mit veränderungsfreudigen, neu berufenen Professoren – diese Parallelität von Planen und Bauen war eine extreme Herausforderung.
Aber Methodenhilfen und die Erfahrungen beim Deutschen Krebsforschungszentrum, bei der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und beim ICI Östringen ließen uns hoffen, die Schwierigkeiten überwinden zu können. Termine, Baukosten, Qualitäten – alles wurde erfüllt. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb überzog uns dann der Rechnungshof mit scharfen Prüfungen. Er bezeichnete auch im Nachhinein diesen Ablauf, der natürlich nicht in allen Teilen der HOAI und vor allem nicht der RB-Bau entsprach, als „das wilde Sauverfahren“.
Kurz vor Ablauf des 5-Jahre-Haftungstermines bekamen wir Millionenforderungen und die Nachricht, dass das Honorar einbehalten werde, auf den Tisch. In akribischer Kleinarbeit errechneten dann die Nachfolger auf dem Bauamt mehr als 10 Millionen Forderungen. In noch akribischerer Kleinstarbeit über vielfache Repliken und Tripliken sind wir 15 Jahre nach der Einweihung auf einer Vergleichssumme zwischen 300.000 DM und 500.000 DM angekommen, die größtenteils die Versicherung bezahlt. Das bayrische Fegefeuer geht also auch zu Ende.
1976
Professor Linde brachte uns 1976 über das Land den Planungsauftrag für die Universität Guilan am Kaspischen Meer in Persien ins Haus. In einer märchenhaften Gegend mit flacher, weißer Sandküste, mit darüber- und dahinterliegenden Terrassen und nachfolgendem Urwald, gekrönt von einem Hochgebirgsmassiv bis über 5.000 m sollte nach dem Wunsch des Schah und im besonderen seiner Frau die Universität entstehen. Eine Hochschule für die Armee sollte folgen. Abenteuerlich waren die Verhältnisse. So musste ich auf dem Weg nach Guilan unserem einnickenden persischen Fahrer mehrmals das Steuer aus der Hand reißen, als er uns geradewegs auf Überlandlastzüge zusteuerte. Dem folgenden Fahrerwechsel widersetzte er sich mit Gewalt.
Abenteuerlich waren aber auch die Geländeerkundungen am Urwaldrand, in dem angeblich außer wilden Wasserbüffeln Bären, ja sogar Großkatzen lebten, oder in der Steinwüste, die dicht mit Vipern und Skorpionen bevölkert gewesen sein soll. Auch die Erkundungsflüge mit einem Militärhubschrauber durch die Felsschluchten, dessen Pilot offenbar seine Fähigkeiten zeigen wollte, waren wirklich abenteuerlich. Am meisten Glück hatten wir aber, als wir noch vor der Revolution das Land verlassen konnten. Der Traum von einer wunderschönen Aufgabe in einem Land, in dem ich gerne einige Pensionsjahre zugebracht hätte, war zerronnen.
1982
Wieder hatten wir bei einem großen, bundesweiten, offenen Wettbewerb 1982 den 1. Preis für das Bundespostministerium errungen. Nach dem üblichen Vertragsgerangel wurde der Planungsauftrag erteilt. Als der Entwurf fertig war, formierte sich in Bonn eine selbsternannte öffentliche Institution für Stadtplanung. Über eine öffentliche Kampagne, über Symposien und das Einwirken auf die Stadt Bonn sollten drei Wettbewerbe rückgängig gemacht und Wohnungen zwischen zwei Hauptverkehrsstraßen gebaut werden.
Zwei Minister, der Oberbürgermeister und die Kammer waren dann damit befasst. Der damalige Vizepräsident der Bundesarchitektenkammer, Gerhard Schwab, beendete mit einem Brief an den Oberbürgermeister Daniels und der Aussage: „Lassen Sie sich nicht von jedermann an ihrer Stadt herumreparieren“ die Diskussion und den Einfluss der selbsternannten Stadtplaner.
Bei der Kunstkommission, in der vor allem die Bundesbaudirektion ihre Bedeutung hatte, sollte eine Lösung für den Platz vor dem Bundespostministerium ausgezeichnet werden, die aus circa 3.000 roten Stangen mit grünem Efeu umrankt bestand. „Raum- und Staatsbewusstsein“ hieß diese Beglückungsvision, die das Bewusstsein entstaatlichen sollte. Ich drängte auf namentliche Abstimmung, damit die Verantwortung für die 200 wegfallenden Parkplätze und die anderen Mehrkosten auch richtig verteilt hätte werden können. Danach wurde anders entschieden, denn die totale Beliebigkeit ist doch manchem bewusst geworden. Natürlich folgte auch hier das Ritual der Attacken und Sanktionen.
So hatten dann manche etwas gegen meinen „Ruhestand“. Wir wurden nämlich verantwortlich gemacht für die Verlängerung der Bauzeit um ein halbes Jahr, obwohl wir von Anfang an weder die Programmangaben noch die Angaben für den technischen Ausbau zeitgerecht und schon gar nicht vollständig erhielten. Ausgerechnet in dem Bereich, in dem die Bundespost Monopolträger ist, der Schwachstromtechnik, mussten die Angaben kurz vor dem Bezug und Teile sogar erst nach dem Bezug eingebracht werden. – Nun, der Übergang ist weich, und man gönnt mir offenbar doch langsam den Ruhestand. Der Vergleich ist seit einem Monat rechtswirksam.
Wenn man bei rund 50 fertiggestellten Bauten nur bei 15 spannungsvolle Ereignisse oder Abenteuer erlebt hat und vor allem nirgendwo eingebrochen ist, kann man im Rückblick für dieses Glück wirklich nur dankbar sein.
Manche fragen mit Recht: „Cui bono? Warum denn diesen Ärger?“ Nun, mir hat er gutgetan, ja, mein niedriger Blutdruck und mein Puls brauchten sogar diesen Druck. Außerdem neigte ich dazu, weniger zu tun, obwohl meine Eltern Vorbilder für Fleiß und Pflichterfüllung waren. Der Beruf des Architekten war für mich eine Lebensbereicherung, zwar voller Unsicherheiten, Belastungen, aber auch unterbrochen durch wirklich euphorische Zeitabschnitte. Wenn ich dies alles so gut überstanden habe, so verdanke ich es vor allem meiner Frau, denn sie nahm als Rheinländerin alles leichter.
Bei Ihnen allen möchte ich mich besonders bedanken für Ihr Interesse an meinem Abgesang